#7 Schützt Menschen, nicht Grenzen!

Wir leben in einer Epoche der Mauern und des Stacheldrahts“, stellte Papst Franziskus vor wenigen Tagen bei seinem Besuch auf Lesbos fest und beklagte den „Schiffbruch der Zivilisation“ im Umgang mit Flüchtlingen.

Gerade auf den griechischen Inseln wurden und werden zahlreiche neue Mauern und Stacheldrahtzäune errichtet. So wurde in Samos, nahe der Haupstadt Vathy, mit EU-Geldern ein neues Lager gebaut, das laut Amnesty International „eher einem Gefängnis ähnelt als einem Ort, an dem Menschen Schutz suchen“. Das „geschlossene Zentrum mit kontrolliertem Zugang“ kann bis zu 3.000 Menschen aufnehmen und ist mit einem doppelten Stacheldrahtzaun umzäunt. Die strenge Überwachung umfasst Videokameras auf dem ganzen Gelände und eine ständige Präsenz von patrouillierenden Polizeikräften und privat beauftragten Sicherheitsbeamt*innen.

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Lager in Samos – ©samosvolunteers.org

Amnesty kritisiert diese Freiheitsbeschränkungen als unverhältnismäßig. Etliche Menschen würden dort illegal daran gehindert, das Lager zu verlassen. Das sei ein schwerwiegender Verstoß gegen die Rechte der Bewohner*innen, sagt Adriana Tidona, Expertin für Migration bei Amnesty International. Nach internationalem Recht können Asylsuchende nur als letztes Mittel, nach eingehender Prüfung und für die kürzestmögliche Zeit festgehalten werden. Den Bewohner*innen des Lagers Samos wird aber automatisch und auf unbestimmte Zeit ihre Freiheit entzogen, und das aus undurchsichtigen Gründen, ohne dass sie diese Entschlüsse anfechten können.

Zudem würden laut Amnesty die EU-Mittel missbräuchlich verwendet. Die fünf geplanten Lager auf den griechischen Inseln sollen 276 Millionen Euro kosten. Zugleich haben Asylsuchende in ganz Griechenland seit zwei Monaten keine finanzielle Unterstützung mehr erhalten, nachdem die Verwaltung des EU-finanzierten Bargeldhilfeprogramms vom UNHCR auf die griechischen Behörden übergegangen war. Nach Angaben von NGOs in Griechenland sind derzeit etwa 34.000 Asylsuchende betroffen. Zudem haben die griechischen Behörden seit Oktober 2021 die Versorgung mit Lebensmitteln und Wasser für anerkannte Geflüchtete und Asylsuchende, deren Antrag abgelehnt wurde, eingestellt.

Illegale Pushbacks

Die griechischen Behörden verletzen auch massiv die Menschenrechte von Geflüchteten, indem sie sie an den Grenzen direkt zurückdrängen, oder sie festnehmen und über die Grenze abschieben, ohne die Gelegenheit, einen Asylantrag zu stellen. Amnesty International hat in einem Bericht die Erfahrungen von 16 Menschen konkret dokumentiert, insgesamt waren in diesen Fällen bis zu 1000 Personen betroffen, manche mehrfach und manchmal unter Nutzung inoffizieller Haftzentren. Die meisten Betroffenen berichteten, dass sie Gewalt durch Uniformierte sowie von Männern in Zivilkleidung erlebt oder gesehen hatten. Dazu gehörten Schläge mit Stöcken oder Knüppeln, Tritte, Faustschläge, Ohrfeigen und Stösse, die manchmal zu schweren Verletzungen führten.
Letzte Woche wurde bekannt, dass versehentlich auch ein Frontex-Mitarbeiter von der griechischen Polizei misshandelt und auf einem Schlauchboot in die Türkei gestoßen wurde.

Auch aus Kroatien gibt es laut Amnesty zahlreiche Berichte, die zeigen, wie die Grenzpolizei routinemäßig Menschen, die versuchen, in das Land einzureisen, angreift, ihre Habseligkeiten zerstört und ihre Telefone zerschlägt, bevor sie sie nach Bosnien zurückdrängt. Manchmal werden die Menschen ihrer Kleidung und Schuhe beraubt und gezwungen, stundenlang durch Schnee und eiskalte Flüsse zu laufen. Der Dänische Flüchtlingsrat hat 2019 fast 7.000 Fälle von gewaltsamen Abschiebungen und unrechtmäßigen Rückführungen nach Bosnien und Herzegowina gesammelt, davon die meisten mit Berichten über Gewalt und Einschüchterungen durch die kroatische Polizei. Auch das Anti-Folter-Komitee des Europarats hat Anfang Dezember die schweren Misshandlungen an der kroatischen Grenze angeprangert.
Erstmals wurden im Oktober drei Polizisten suspendiert, nachdem die ARD Videos von Misshandlungen öffentlich gemacht hatte.

Nicht zuletzt wurden auch in Österreich Fälle dokumentiert, in denen Geflüchtete direkt über die Grenze zurückgebracht wurden, ohne dass sie die Chance hatten, einen Asylantrag zu stellen.
Das Landesverwaltungsgericht Steiermark verhandelte im November den Fall eines minderjährigen Somaliers, dessen Asylantrag von der Polizei „überhört“ wurde. Er hatte gemeinsam mit fünf anderen Flüchtlingen in Bad Radkersburg Asyl beantragt. Anstatt in eine Erstaufnahmestelle zu kommen, wie ursprünglich zugesagt, wurden sie getäuscht und nach Slowenien gebracht. Anscheinend wusste keiner der beteiligten Beamten, was „Asyl“ auf Englisch heißt (ausführliche Notizen von der Verhandlung auf Twitter).

„Illegale Migration“? Was sonst?

Allzuoft sagen Politiker hierzulande „illegale Migranten“, wenn sie von Flüchtlingen sprechen. Das klingt mehr nach Bedrohung als nach schutzsuchenden Menschen, und genauso ist es wohl auch gemeint.
Wer diesen Begriff verwendet und weiter verbreitet, übersieht aber eines: Es gibt praktisch keine Möglichkeit, in Österreich Asyl zu beantragen, ohne illegal eine Grenze zu überqueren. Das frühere „Botschaftasyl“ wurde 2001 abgeschafft, an humanitären Aufnahmeprogrammen hat sich Österreich wenig beteiligt – und seit 2018 gar nicht mehr. Dabei wäre gerade das eine Möglichkeit, die Schutzbedürftigsten zuerst aufzunehmen, und tatsächlich „den Schleppern das Handwerk zu legen“. 2015 hat darum auch der damalige Außenminister Kurz noch gefordert, dass Flüchtlinge in ihren Heimatländern Asylanträge stellen können.

Es gibt längst Möglichkeiten für legale Wege: Etwa das Ausstellen humanitärer Visa, die Stärkung von Resettlement-Programmen oder eine verstärkte Gewährung von temporärem Schutz. Das Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte  hat solche Wege in einem Vorschlag für die Neuausrichtung der europäischen Asylpolitik beschrieben (Kurzfassung). Auch private Sponsorship-Programme, wie in Kanada, könnten zusätzliche legale Wege schaffen.
Vor kurzem hat SOS Mitmensch eine neue Initiative für humanitäre Aufnahmeprogramme gestartet, um diese sinnvolle Tradition in Österreich wieder zu beleben. Hier kann man die Petition unterstützen: sosmitmensch.at/petition-humanitaere-aufnahme.

Es ist legitim, dass Staaten ihre Grenzen kontrollieren, dass sie wissen und regeln wollen, wer in ihr Land kommt. Es ist verständlich, dass sich die – meist ärmeren – Staaten an den Rändern der Union alleingelassen fühlen. Aber es ist ganz einfach nicht wahr, dass unbewaffnete Menschen, die auf der Suche nach Schutz sind, eine Bedrohung für die europäische Union oder einzelne Staaten darstellen. Auch Staaten wie Griechenland und Polen, die ihrerseits internationale Solidarität erwarten, müssen die Menschenrechte Geflüchteter respektieren. Das heißt nicht, dass alle, die das wollen, aufgenommen werden müssen – sehr wohl aber hat jeder Mensch ein Recht darauf, einen Asylantrag zu stellen, und hat ein Recht darauf, dass dieser Antrag in einem fairen Verfahren geprüft wird.
Die Politik hat nicht die Aufgabe, Ängste zu schüren und Vorurteile aufzuschaukeln. Vielmehr muss sie an Lösungen arbeiten, die die Interessen der Staaten wahren und zugleich die fundamentalen Menschenrechte der Geflüchteten schützen.

 

Direkte Unterstützung in den Regionen:

An der polnisch-belarussischen Grenze helfen ua. die Organisationen medico internationalDiakonie Polen„Mauerfall jetzt“

Die österreichische Initiative „SOS Balkanroute“ unterstützt Geflüchtete in Bosnien, in Zusammenarbeit mit lokalen Aktivist*innen

Auf Lesbos ist eine private Initiative von Doro Blancke aktiv, die teilweise Geflüchtete direkt unterstützt, teilweise lokale NGOs.

Die Organisation Samosvolunteers betreibt in der Nähe des Camps in Samos ein Gemeinschaftszentrum mit Angeboten zur psycho-sozialen Unterstützung, Bildung und Freizeit

In Österreich betreibt die Initiative Push-Back Alarm Austria eine Hotline, an die sich Betroffene wenden können – Tel: +43 1 3451444

 

Botschaft #7 als PDF (A4)

Kathi Lins, Amnesty International Vorarlberg

 

Update am 8. 12., um richtigzustellen, dass die Kosten von 276 Millionen Euro für alle geplanten Lager auf den griechischen Inseln gelten, nicht nur für Samos.

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